Die Mitschuld des Bernd Lucke

Es gibt einen Youtuber, den ich mir beim Saugen oder Kochen gerne anhöre. Philip Schlaffer heißt der Mann und interessiert mich, weil er Neonazi-Aussteiger ist.
Heute macht er Aufklärungsarbeit, führt Interviews und erzählt von der Zeit, als er noch in rechtsextremen Kreisen unterwegs war und wie er es letztendlich raus geschafft hat. Darüber hat er auch ein Buch geschrieben.
Auf seinem Youtube-Channel gibt es ein Format, in dem er Dokumentationen, Reportagen und Interviews über, von und mit heutigen RechtsextremistInnen kommentiert. Nicht selten ist auch ein anderer Buchautor und Ex-Neonazi dabei, namens Axel Reitz, der heute auch in erster Linie Aufklärungsarbeit leistet.
Alles in allem gefällt mir dieses Format ganz gut.
Zu der Zeit, als Schlaffer und Reitz noch Neonazis waren, gab es zwar die AfD noch nicht, dennoch ist sie häufig Thema der Videos und ich finde es äußerst interessant, wenn Schlaffer und Reitz Parallelen zwischen der Alternative für Deutschland und der NPD (heute Die Heimat), der Rechten, der FAP oder dem III. Weg ziehen.
Es gibt aber einen Punkt, der mich wirklich stört.
Ich schätze Axel Reitz als einen wirklich intelligenten und intellektuellen Menschen ein, wenn es mir auch ein bisschen auf den Keks geht, wie häufig er betont, ein Liberaler zu sein. Ob er die FDP damit meint, weiß ich nicht. Aber so ziemlich alles ist besser, als der »Hitler von Köln« zu sein, wie er sich früher genannt hat.
Der Punkt, der mich stört, beschäftigt sich aber nicht mit der FDP, sondern mit der AfD.
Reitz wird nicht müde, zu erwähnen, dass die AfD nicht von Anfang an, eine Neonazi-Partei war. Unter Bernd Lucke, Gründer und erstem Vorsitzenden, sei die AfD noch eine demokratische, liberale Partei gewesen.
Das ist nicht falsch, aber es verschweigt etwas.

Die Anfänge der AfD
Von Anfang an, waren nämlich nationale Tendenzen in der AfD vertreten und was für welche.
Dass die AfD forderte, die europäischen Hilfen für Griechenland einzustellen und das bewarb mit »Wir sind nicht das Weltsozialamt« ist die erste Auffälligkeit, bei der man hätte stutzig werden können. Die NPD warb damals mit »Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt«. Das ist eins zu eins dieselbe populistische Scheiße, mit der eine ordentliche Portion Rassismus maskiert werden soll. Nur die CSU, der seit Josef Strauss gar nichts zu eklig ist, warb mit demselben Spruch. Alle demokratischen Parteien distanzierten sich von diesem Mist.
Früh wollten viele AfDlerInnen weg vom Euro, zurück zur D-Mark, was auch als nationalistisches Überlegenheitsgefühl gedeutet werden kann; oder wenigstens sollten die »Südländer« die Eurozone verlassen.
Außerdem hatte die AfD von Anfang an ein sehr treffsicheres Händchen, wenn es um ihr Spitzenpersonal ging. Hätte man sich Bernd Höcke ein wenig genauer angesehen, hätte man sicher darauf kommen können, dass Thorsten Heise, Die Heimat-, früher NPD-Mitglied und militanter Neonazi ein guter Freund von Höcke ist. Ja, Freunde kann man sich aussuchen und der Oberstudienrat hätte gefragt werden können, wo er den Bonehead kennen gelernt hat. Alexander Gauleiter, damals Vorsitzender der AfD in Brandenburg, ist schon vorher, als er noch in der CDU war, von seinen ParteigenossInnen gemieden worden. Und gegen André Poggenburg, damals Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, ist sogar die AfD-Parteispitze selbst vorgegangen und zwar lange nachdem (!) Lucke schon weg war. Und das sind nur die ersten Anzeichen gewesen.

Die Wortwahlen Luckes
Doch zurück zu Lucke. Anders als Höcke, Gauleiter und von Strolch glaube ich wirklich, dass Lucke kein Nazi ist. Aber er hat gewusst, dass es sich bei den gerade genannten und vielen anderen um Nazis handelt. Das kann mir keiner erzählen und er wusste auch, dass man ab und zu Sachen sagen muss, die RechtsextremistInnen gefallen, damit man von RechtsextremistInnen gewählt wird. So war es Lucke, der das Wort »Entartungen« benutzte, um die deutsche Demokratie zu beschreiben. Darauf angesprochen, dass das Wort schon Goebbels verwendet hat, um Zustände zu beschreiben, die nicht in sein krankes Weltbild passten, verglich Lucke beiläufig den deutschen demokratischen Parlamentarismus mit einem Krebsgeschwür…
Lucke hätte schon früh die Chance gehabt, den rechtsextremen Umtrieben in seiner Partei Einhalt zu gebieten, hat er aber nicht und war auch nicht der Meinung, es zu müssen.
Doch dann zeichnete sich allmählich ab, dass die undankbaren rechtsextremen Ossis ihn nicht für immer als Parteivorsitzenden behalten wollten und er musste handeln.
Also gründete er einen Verein innerhalb der AfD, um davor zu warnen, dass die Partei gerade von RechtsextremistInnen unterwandert beziehungsweise übernommen wird. Diesen Verein nannte er »Weckruf 2015« und der sollte darauf aufmerksam machen, dass die AfD gerade nach rechts außen rückt. Immerhin ist es ihm schon 2015 aufgefallen, es gibt ja bis heute AfD-Mitglieder, die die Augen davor verschließen. Dennoch ist der Name denkbar schlecht gewählt. Mit »Weckruf« vor Nazis zu warnen ist etwa so sinnvoll wie mit Aas Geier fernzuhalten. Denn »Der Weckruf« war auch der Name der allerersten NSDAP-Lokalzeitung.

Der Name der AfD
Am erschreckendsten finde ich aber tatsächlich den Namen der AfD. Lucke wollte auf die aus seiner Sicht gescheiterte Euro-Politik der EU und Deutschland aufmerksam machen. Nachdem Merkel die Euro-Politik »alternativlos« nannte, wollte Lucke mit seiner Partei eine Alternative anbieten. Ursprünglich sollte seine Partei »ADE« heißen, Alternative für Deutschland und Europa. Doch schon bei der Gründung der Partei, als also noch Henkel und Adam dabei waren und was zu sagen hatten, ist das Engagement für Europa aus dem Namen der neuen Partei gestrichen worden und es wurde sich wenigstens namentlich eher in eine nationalistische Richtung orientiert. So wurde aus der Alternative für Deutschland und Europa die Alternative für Deutschland. Spätestens hier hätten erneut die Alarmglocken klingeln müssen. Denn der Name Alternative für Deutschland ist sehr nah am Namen einer lupenreinen Neonazipartei.
1989 gründete sich die Deutsche Alternative (DA), eine Kleinstpartei ohne besondere politische Bedeutung und auch ohne lange Dauer, weil sie 1992 schon verboten wurde, aber eine lupenreine Neonazipartei, die von einem FAP-Mitglied gegründet wurde. Die FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) ihrerseits spielte unübersehbar mit NS-Symbolik und auf Parteitreffen wurden sogar braune Uniformen getragen, nur um kurz klarzumachen, mit was für Menschen wir uns beschäftigen, wenn wir über die DA sprechen. 1995 wurde schließlich auch die FAP verboten. Doch zurück zur AfD. Wenn ich eine Partei gründe, die nicht in irgendeine Ecke gesteckt werden soll, dann muss ich mich doch informieren, ob es diesen Namen vielleicht schon gibt oder einen ähnlichen und was das für eine Partei ist und ob ich mit möglichen Verwechslungen leben könnte. Also ich könnte es nicht. Lucke offensichtlich schon, wahrscheinlicher ist aber, dass er gar nicht gewusst hat, dass es die DA mal gab und sich überhaupt nicht informiert hat, welche Assoziationen der Name erzeugen könnte. Oder er hat es bewusst in Kauf genommen, um so die eine oder andere braune Ratte auf sein Schiff zu holen. Allerdings war er es, der das Schiff verlassen musste, als es drohte, im braunen Sumpf zu versinken.
Dies sind nur ein paar Beispiele, aber sehr viel mehr Zeit hatte Lucke auch nicht. 2013 wurde die AfD gegründet und 2015 trat Lucke aus und in zwei Jahren schon derart häufig in ein Fettnäpfchen zu treten, das unappetitlich braunen Inhalt hat, ist schon auffällig.

Lucke ist kein Nazi und war auch in seiner Zeit in der AfD keiner, das glaube ich wirklich. Aber besonders helle war er eben auch nicht.
Lucke hat angenommen, dass der die RechtsextremistInnen in seiner Partei schon im Zaum halten kann, dabei trieben die ihn von Anfang an vor sich her, hielten ihm Stöckchen hin, über die er bereitwillig sprang und ich werfe ihm vor, dass er nicht selten auch versucht hat, sich bei denen lieb Kind zu machen, damit sie ihn nicht noch schneller absägen, als sie es letztendlich getan haben.
Natürlich ist man im Nachhinein immer schlauer, aber – bei aller Liebe – mit einem NPD-Slogan in den Europawahlkampf zu starten, ist dermaßen bescheuert, dass es überhaupt nicht überraschend ist, dass die AfD da steht, wo sie steht, nämlich ganz rechts außen. Lucke trägt nicht die alleinige Verantwortung dafür. Aber ihn trifft ein nicht unerheblicher Teil der Mitschuld. Kein Nazi zu sein, reicht eben nicht.

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