»Iftah Ya Simsim« ist Arabisch (wenn auch mit lateinisch-griechischen Buchstaben wiedergegeben) und heißt auf deutsch »Sesam, öffne dich«. »Sesam, öffne dich« ist ein Zauberspruch aus dem Märchen »Alibaba und die 40 Räuber«, einem Märchen aus »1001 Nacht«.
»1001 Nacht« wiederum ist eine Märchensammlung, die persischen Ursprungs ist, ins Arabische übersetzt und durch arabische Märchen ergänzt wurde. Im 18. Jahrhundert kamen die Geschichten nach Europa und faszinierten seitdem auch die europäische Leserschaft.
Seit über 200 Jahren wissen auch die europäischen Leser etwas über Alibaba, Sindbad und natürlich Aladin.
»Die Erzählung von Aladin und der Wunderlampe« ist bestimmt das bekannteste Märchen aus »1001 Nacht«, nicht zuletzt, weil 1992 der Disney-Film »Aladdin« erschien, der die Erzählung aus der arabischen Märchensammlung in teilweise stark veränderter Form zu Grunde liegt. Ich selbst bin auch durch den Disney-Film mit dem Aladin-Stoff vertraut gemacht worden und ich finde das Märchen und auch den Film sehr gut. Die Fortsetzungen des Disney-Films hab ich mir auch angesehen, kopfschüttelnd, im Unverständnis darüber, wie schlecht sie sind, aber als 2019 das Realfilm-Remake des Films erschien, ist mir erst aufgefallen, dass »Dschafars Rückkehr« und »Aladdin und der König der Diebe« nicht das schlimmste waren, was man diesem Film antun konnte.
Die Wut darüber, wie sehr der grandiose Animationsfilm 20 Jahre nach Erscheinen von seinen eigenen Schöpfern zerstört wurde, hat mich dazu veranlasst, diesen Beitrag zu schreiben.
Was der Remake von »Aladdin« alles falsch gemacht hat, darum soll es in diesem Beitrag gehen.
Ich hoffe, es ist nicht nötig, eine Spoilerwarnung auszusprechen, aber ich mache es vorsichtshalber trotzdem. Sie gilt für »Aladdin« (von 1992), »Dschafars Rückkehr«, »Aladdin und der König der Diebe« und »Aladdin« (von 2019). Es geht hier nur um meine Meinung. Wenn dir der Remake gefällt, dann ist das okay. Es ist möglich, dass die Neuverfilmung auch was richtig gemacht hat. Darum geht es in diesem Beitrag aber nicht. Hat sie dir gefallen? Dann schreib mir in die Kommentare, was gut war. Ansonsten bitte ich zu entschuldigen, dass dieser Beitrag ein bisschen länger ist. Aber dann habt ihr in der Weihnachtszeit ein bisschen Lesestoff.
Die erste Problematik, die auffällt und die sich durch den ganzen Film zieht, ist dass kreativer Weise ganze Textpassagen Wort für Wort aus dem Zeichentrickfilm übernommen worden sind, die dann zu allem Überfluss so lieblos und gelangweilt runtergerasselt werden, dass man sich fragt, ob die Übersetzer, den Film von 1992 gar nicht gesehen haben oder ob sie ihn nicht verstanden haben. Dann wagt euch halt nicht an einen so schweren Stoff… Das ist zwar in erster Linie ein Synchro-Problem, das gebe ich zu und ich weiß, wie schwer es ist, Lippensynchron zu übersetzen, aber wir reden hier nicht von der Film-AG der achten Klassenstufe der Asylum-Gesamtschule in Bielefeld, sondern von der Walt Disney Company.
Kommen wir zum Film und gehen ihn problematische Szene für problematische Szene durch:
Der Film läuft erst 10 Minuten und schon beginnt er, mich aufzuregen. Nachdem Aladdin mit Jasmin durch die Straßen Agrabahs vor den Wachen geflohen ist und sich an einer Mauer hochzieht, hört man eine Glocke im Hintergrund schlagen und sie klingt einfach nach einer Kirchenglocke. Es ist wahrscheinlich keine, aber da sie auch nicht essentiell wichtig für das Drehbuch ist, hätte man sie auch weglassen können. In dieser Szene klingt sie wie eine Kirchenglocke und vor dem Hintergrund, dass uns der Film in jeder Szene ins Gesicht drückt, dass wir uns in einem orientalischen Land befinden, in dem wahrscheinlich ein Großteil der Bevölkerung muslimischen Glaubens ist – was später sogar in einem Nebensatz erwähnt wird – stört dieser Glockenklang einfach sehr. Wahrscheinlich ist es eine Alarmglocke oder etwas in der Art, aber der Klang zerstört die mühsam aufgebaute orientalische Szenerie.
Außerdem ist mir diese ganze Marktszene viel zu bunt. Es wirkt, als würden Aladdin und Jasmin durch Disneyland laufen. Die leere Geschichte wird versucht, durch Special-Effects und leuchtende Farben aufzuwiegen, aber das ist zu wenig.
Ebenfalls relativ weit am Anfang wird uns Dschafar vorgestellt. Und wieder dauert es nicht lange, bis ich was zu meckern habe. Dschafar wird von einem ziemlich attraktiven Mann gespielt. Der Zeichentrick-Dschafar ist hässlich, unheimlich und alt, ein Unsympath durch und durch. Hier starrt uns ein hübscher, junger Mann finster vom Bildschirm aus an. Darüber könnte ich noch kulant hinwegsehen, ein Bösewicht muss nicht unbedingt hässlich sein, gebe ich zu, obwohl das in Disneyfilmen meistens so ist. Wirklich problematisch ist aber Dschafars Intention. Es gibt einen Grund dafür, dass er böse ist. Es gibt einen Grund dafür, sich am Sultan zu rächen. Was soll das? Sollen wir Verständnis für ihn haben oder gar Mitleid? Sollen wir uns auf seine Seite stellen? Vor diesem Hintergrund ist sein hübsches Gesicht um so problematischer. Wir haben es hier mit einem Kinderfilm zu tun. Ich finde in einem Kinderfilm dürfen Bösewichte einfach nur böse sein. Wir wollen keine psychologische Erörterung darüber, inwiefern die Bösen wirklich böse sind. Denn ansonsten lässt sich im weiteren Verlauf des Films fragen, inwiefern Aladdin ein Held ist.
Ein wenig später ist Aladdin in der Höhle und soll die Lampe herausholen. Und er findet sofort heraus, wo sich die Lampe befindet. Im Zeichentrickfilm fragt er den Teppich, den er auch in der Höhle findet (und den er merkwürdiger Weise berühren darf) wo er die Lampe finden kann. Dass er sie im Remake selbst findet, nimmt der »Wunderhöhle« irgendwie ihre Wunder, wie ich finde. Der Aufbau der Höhle ist doch faszinierend. Am Eingang befindet sich der überwältigende Schatz, der das Verderben desjenigen bedeutet, der ihn berührt. Am unscheinbaren Ende der Höhle, da befindet sich der eigentliche Schatz. Dass sich die Lampe hier beim restlichen Schatz befindet, macht sie kleiner und weniger spektakulär. Dann berührt der Affe einen Rubin oder etwas ähnliches. Im Zeichentrickfilm erbebt die Höhle vor Wut, der Eingang in Form des Mauls einer Raubkatze brüllt und schnappt um sich und im Inneren erklingt die vor Wut donnernde Stimme der Höhle.
Im Remake klingt die Höhle eher gelangweilt – wahrscheinlich wieder so ein Synchro-Fail – und alles wird zu Lava. Die Dramatik fehlt völlig.
Dann erscheint der Geist. Ich weiß nicht, wie es in der arabischen Version des Märchens ist, aber in der deutschen Übersetzung verlässt ein »Geist« die Lampe.
Der Disney-Film von 1992 nennt das Wesen »Dschinni«, was sogleich der Name, als auch die Spezies zu sein scheint. Der Name »Dschinni« kommt natürlich von den muslimischen Fabelwesen, die aus Feuer bestehen, namens »Dschinn«.
Die Rolle des Dschinni ist in dem Animationsfilm von 1992 für Robin Williams geschrieben worden, der mittlerweile leider nicht mehr am Leben ist. Er hat sie nicht nur gesprochen. Er war die Rolle und sie war für ihn. Dschinni sieht Williams sogar ähnlich. Aber vor allem war Robin Williams ein begnadeter Schauspieler, der Rollen in Psychothrillern und Kinderfilmen übernommen hat und immer eine phantastische Performance ablieferte.
Und diese Rolle, eine Rolle, die von Anfang an für Robin Williams gedacht war, besetzen sie mit Will Smith.
Will Smith ist kein Schauspieler, jedenfalls kein besonders guter. Will Smith ist Rapper. Versteht mich nicht falsch. Ich finde »Der Prinz von Bel Air« wahnsinnig witzig und ich liebe »Independence Day«, was aber nicht ausschließlich an Smith liegt, sondern daran, dass der Film einfach gut geschrieben ist und jede Menge andere hochkarätige Schauspieler mitspielen. Zwar hat sich Smith einen Platz unter den bekanntesten Schauspielern der Welt erarbeitet, was man ihm hoch anrechnen muss, keine Frage. Aber er ist kein guter Schauspieler. Der Mensch Will Smith spielt fast ausschließlich die Figur Will Smith aus »Der Prinz von Bel Air«, sogar in »Independence Day«. Und jetzt versucht ein Will Smith, der fast nur Will Smith spielen kann, einen Robin Williams zu spielen und es gelingt ihm – wie zu erwarten war – nicht. Er macht es für seine Verhältnisse nicht schlecht, aber er wirkt wie eine billige Kopie und zwar weil er eine ist. Aber wir kommen nochmal auf ihn zu sprechen. Knöpfen wir uns an dieser Stelle noch einmal das Drehbuch vor:
Dschinni glaubt Aladdin nicht, dass er sein Meister ist. Jetzt hört sich aber alles auf, Disney. Schlimm genug, dass ihr den Film und seine Figuren kaputt macht. Der gehört euch, damit könnt ihr treiben, was immer ihr wollt. Aber jetzt vergreift ihr euch auch noch an der Mythologie und dem Märchen. Da hört der Spaß auf.
Es ist verdammt nochmal der Fluch der Lampe, dass der Geist oder in diesem Fall der Dschinni, demjenigen dienen muss, der die Lampe in Händen hält. In einer anderen Aladin-Verfilmung, die ich mal gesehen habe, sagt der Geist zu Aladin, dass er ihn gern hat, aber dazu verflucht ist, ihn »ohne mit der Wimper zu zucken« zu verraten. Dieser Dschinni im »Aladdin«-Remake hat es nicht verdient, am Ende freigewünscht zu werden – wozu wir auch noch kommen – denn er kommt seiner Aufgabe nicht nach. Sein Job ist es, bedingungslos demjenigen zu dienen, der die Lampe in Händen hält. Wie kommt er dazu, anzuzweifeln, dass sein Meister sein Meister ist?
Dschinni befreit Aladdin aus der Höhle. Hier zeigt sich die Problematik an diesen drei Wünschen. Im Original kann Aladin sich soviel wünschen wie er will. Ich verstehe aber die Idee der drei Wünsche, das macht es spannender und bringt den Helden in die missliche Lage, zwischen seinem dritten Wunsch und Dschinnis Wunsch, befreit zu werden, entscheiden zu müssen. Was ich aber ganz und gar nicht verstehe, ist, wie es Aladdin im Remake aus der Höhle schafft und immer noch drei Wünsche hat.
Im Animationsfilm von 1992, behauptet Aladdin, Dschinni nicht zu glauben, ihn aus der Höhle bringen zu können. Dschinni fühlt sich herausgefordert und zaubert Aladdin an die Oberfläche. Als Aladdin ihn dann auf seine drei Wünsche anspricht, macht Dschinni ihn darauf aufmerksam, dass er den ersten gerade verpulvert hat. Aladdin belehrt ihn eines Besseren und sagt, er habe sich niemals gewünscht, die Höhle zu verlassen, das sei Dschinnis Wunsch gewesen.
Im Remake wird diese geniale Idee verworfen und durch richtig dummen Quatsch ersetzt. Aladdin sagt wortwörtlich: »Ich wünsche mir von dir […]« und behauptet, nachdem er an der Oberfläche ist, er habe sich das nicht gewünscht. Hä?!? Natürlich hast du dir das gewünscht, du Vogel!
»Ich wünsche mir« – deutlicher kann man einen Wunsch nicht äußern.
»von dir « – ja von wem denn sonst? Dschinni hat ihm gerade vier Minuten lang vorgesungen, dass er sich von ihm alles wünschen kann.
Wenn ihr schon das Drehbuch von 1992 teilweise wortwörtlich übernehmt, warum übernehmt ihr dann nicht die guten Ideen? Den Dschinni zu provozieren, ist genial, während der Satz »Ich wünsche mir von dir[…]« überhaupt nicht genial ist, sondern eindeutig ein Wunsch geäußert wird, der als solcher zählen sollte. Ein erneuter Synchronisationsfehler ist es übrigens auch nicht. Im Englischen Original sagt er den gleichen Mist.
Schließlich wird Aladdin in einen Prinzen verzaubert und hält mit großem Brimborium Einzug in Agrabah. Er kommt beim Sultan ganz gut an sowie bei der Kammerzofe Jasmins. Aber Jasmin selbst ist nicht so begeistert. Genauso wenig wie Dschafar, wenn auch aus anderen Gründen.
Dschafar kann Prinz Ali, wie sich Aladdin jetzt nennt, nicht leiden; das ist im Zeichentrickfilm ganz genauso. In diesem allerdings droht Ali, Dschafar die Prinzessin wegzunehmen und damit die einzige Chance, den Thron des Sultans zu besteigen. Deswegen will Dschafar Ali umbringen. Im Remake weiß Dschafar, wer Prinz Ali ist und dass er nur mit der Lampe zu dem geworden ist, der er jetzt vorgibt, zu sein und deshalb will er ihn umbringen.
Wenn die Konsequenz auch dieselbe ist, ist es hier im Zeichentrickfilm besser gelöst: Dschafar ist gerade dabei, den Sultan zu verzaubern, kurz davor, dessen schöne Tochter zu heiraten und damit selbst Sultan zu werden und dann stört dieser Ali.
Im Remake weiß Dschafar fast von Anfang an, wer sich hinter Prinz Ali verbirgt.
Jasmin kommt ganz gut weg. Sie ist clever, sie ist stark, sie möchte gerne Königin werden und braucht dazu keinen doofen Prinzen und wie im Animationsfilm, will sie nicht ein »Preis [sein], den man einfach gewinnen kann« und um das bloß klarzustellen, kriegt sie jetzt, im Remake, einen Song.
Der Song handelt davon, dass sie ihr Schweigen jetzt brechen möchte. Ihr ganzes Leben habe sie den Mund zu halten gehabt, aber jetzt möchte sie endlich reden. Der Song ist gut, wie alle Songs in diesem Film, aber er gehört nicht in diesen Film. Den ganzen Film über ging es nicht einmal darum, dass sie den Mund zu halten und sich anzupassen hat, ganz abgesehen, dass sie das auch nicht gemacht hat.
Ich bin sicher der letzte, der kritisiert, dass Disney hier versucht, aus Jasmin eine feministische Kämpferin zu machen, aber dann macht halt einen Film darüber und kopiert nicht die chauvinistische Scheiße, die schon in den 90ern überholt war und addiert diese kurze feministische Sequenz.
»Aladdin« aus der Sicht von Jasmin, das hätte ein super Film gewesen sein können: eine Prinzessin, die gerne Sultan werden würde, aber alles, was ihr blüht, ist bestenfalls die Frau eines Sultans zu sein. Trotzdem – oder gerade deswegen – schießt sie alle Prinzen in den Wind, die um sie werben, meinetwegen auch Aladdin und am Ende setzt sie sich durch und wird Sultan.
Habt ihr aber nicht gemacht, Disney, dafür habt ihr dieses Lied, mit zweifellos einer guten Aussage, in ein Drehbuch gequetscht, in dem es nichts verloren hat, weil es die ganzen eineinhalb Stunden vorher nicht darum ging. Warum brauchen wir jetzt, kurz vorm Ende diesen zwei-Minuten-Song?
Direkt am Ende wird Dschinni frei gewünscht. Er wünscht sich seinen eigenen Wunsch nicht genug. Einmal kurz erwähnt er, dass er gerne frei sein würde, dann wird das zwei Stunden lang nicht thematisiert und plötzlich wird er am Ende von Aladdin freigewünscht. Zack! Das kommt so überraschend, dass es mich total verwirrt hat. Der Grund ist, dass der ganze Film vollgestopft ist mit Side-Stories und Special-Effects, die nichts mit der Geschichte zu tun haben und einen den Wunsch des Dschinnis vergessen lassen. Natürlich ist es fair und gutherzig von Aladdin, dem Dschinni die Freiheit zu verschaffen, aber hätte man Dschinnis Wunsch nicht wenigstens zwischendurch nochmal erwähnen können oder einfach nicht mit haufenweise Nebenschauplätzen wie riesigen Monsterpapageien und kämpferischen Jasmins zum Beispiel, die von Dschinnis Wunsch ablenken?
Abschließend komm ich noch einmal auf Jasmin zu sprechen. Ihr Vater ernennt sie am Ende nämlich doch zum Sultan. Hätte er das nicht gleich am Anfang machen können als treusorgender Vater, anstatt seine Tochter die ganze Zeit mit allen möglichen Prinzen zu nerven? Dann hätten wir uns nämlich den ganzen furchtbaren Remake sparen können und würden uns nur über »Dschafars Rückkehr« und »Aladdin und der König der Diebe« aufregen. die sind nämlich bei weitem schon schlecht genug.
In diesem Sinne Frohe Weihnachten und einen guten Rosch von 2024!